Noch ein Tag in Borne Sulinovo

oder überwuchernde Kriegsschauplätze und Gespräche mit dem Dalai Lama über Frieden

 

28.8.

 

Borne Sulinovo, mein Platz im Wald und unsere deutsche unsägliche Geschichte. Die alten Bunker aus dem 2.Weltkrieg sind längst nur noch Steinreste irgendwo im Wald, unter Sand verborgen.

Die Schmalspurschienen abgebaut und nur noch als Sandwege erkennbar. Einzelnen Herrschaftshäuser verfallen und wuchern mit Brennesseln und Gestrüpp zu.
Die Siedlungen der Russen, die nach uns Deutschen kamen, teils hergerichtet zu Wohnhäusern im typischen Plattenhausstil, teils leerstehend, dem Verfall preisgegeben. Manche „Schlösschen“ werden neu augebaut und sind nun schicke Restaurants und Hotels am Seestrand.

 

 

 

 

Da ist das große unendliche Leid auf der einen Seite, die Schönheit der Natur auf der anderen und ich mitten drin.

Eigentlich wollte ich ja gar nicht bleiben, hatte keine Lust auf Kriegsschauplätze. Ich spüre in mir diesem großen „Schuldgefühl“ der Deutschen nach.

Erst kamen wir, dann kamen die Russen. Zerstörung, Angst, Haß und Wut, neben Gier und Überheblichkeitswahnsinn. Was habe ich damit zu tun? Was hat es mit diesem „kollektiven Schuldgefühl“ der Deutschen auch in der zweiten Generation noch auf sich. Wie weit ist es notwendig, sich diese Scenarien nochmal vor Augen zu führen und damit zu spüren.

Mainstream ist, … damit so was nie wieder passiert.

 

 

 

 

 

 

 

 

Funktioniert das?, frage ich mich, während ich hier draußen  die Ruhe und die Stille, die Natur und ihr einfaches Dasein erlebe. Wie funktioniert das mit dem Frieden? Dadurch das wir uns Angst – und Schreckensbilder immer und immer wieder vor Augen halten? Es fühlt sich traurig und verzweifelt an, hilflos, ohnmächtig und einfach nur entsetzlich. Darf ich neben diesem Leid auch noch Freude empfinden, – und darf ich das als Deutsche?

Wo kann ich anfangen Leid zu verändern? Als Antwort auf das kollektive Schuldgefühl, ich muß es wieder besser machen? Im Außen, im einen der vielen Projekte, die sich das Gute auf die Fahnen schreiben.

Ein Weg,-  und ein weiterer, zu verstehen wo fängt das an, wo fängt die Zerstörung und der Haß an? In jedem von uns gibt es diese dunkle Seite, die einfach, um sich zu schützen, um das zu schützen was einem wichtig ist, wild um sich schlägt. Körperlich, mit Worten, mit Gedanken und hinterhältigen Handlungen. Und dabei wollen wir doch nur alle glücklich sein, ohne Angst leben. Und was macht glücklich. Das ich ein größeres Stücken Butter auf dem Brot habe, als wie mein Nachbar?

Es ist so spannend, da bin ich hier mit unserer Geschichte konfrontiert und daneben höre ich die Vorträge vom Dalai Lama über Frieden. Was für eine Gleichzeitigkeit.

Und ich bin tief überzeugt, dass Frieden in jedem einzelnen entstehen muß. Der Dalai Lama erzählt eine Begebenheit: Ein Flüchtling, der 18 Jahre im Gefängnis der Chinesen überlebt hatte, konnte fliehen. „Meine größte Angst war“, so erzählt er dem Dalai Lama, der dachte, jetzt kommt eine lebensbedrohende Situation, “ das ich mein Mitgefühl für die Chinesen verliere.“

Was für eine Geistesgröße gehört dazu trotz Folter und körperlicher, sowie seelischer und mentaler Qual, das Mitgefühl für den anderen aufrecht zu erhalten! Sich nicht in den Gefühlen des Zornes, des Haßes, der Abneigung zu verlieren, sondern innerlich aufrecht stehen zu bleiben.

Mitgefühl zu entwickeln ist die Antwort auf Haß und Gewalt. Mitgefühl ist das, was Frieden schafft. Mitgefühl ist das was Freude schafft. Und jemand, der sich tief innerlich freut, teilt das einfach mit den anderen. Es geht nicht anders, Freude will geteilt sein.

Und so wie die Relikte vom Krieg und seinem unsäglichen Leid langsam von der Natur überwuchert werden, in den Hintergrund rücken und neuem Leben Platz machen, so meine ich, ist die Antwort, die tiefe Freude in sich zu finden.

Jemand, der froh und glücklich ist, möchte automatisch dass es seine Nachbarn auch sind. Und wenn ich anfange zu verstehen, dass tiefe Freude unabhängig von Besitz ist, sogar unabhängig von Materie, dann kann ich angstfreier leben. Und ich glaube, darum geht es, die Angst zu verlieren.

 

 

 

 

Ein philosphischer Tag geht zu Ende, an dem ich mit dem Radl umeinander gefahren bin, an dem es den ganzen Tag immer wieder gewittert hat, an dem Wäsche gewaschen wurde und ich versucht habe mein Badtürschloß zu reparieren, bisher erfolglos. Der Schließmechanismus hält nicht mehr. Also ein Häckchen dran, zum provisorischen Festmachen. Ganz aufgegeben habe ich noch nicht.

Es regnet immer wieder in der Nacht, aber morgens kommen ein paar Sonnenstrahlen durch. Spannendes Leben!