oder die Geburtstadt meines Vaters und die Heimat meiner Urgroßeltern
2.10.
Nun schließt sich langsam mein Polenkreis und zum Abschluß fahre ich nach Ratibor. Eine Kleinstadt, die gar nicht mehr so klein ist. Geprägt von den vier Kirchen, der Mariensäule am Markt, dem Oderufer und noch ein paar alten Gebäuden aus der Oberschlesischen Zeit.
Die Straßennamen sind verändert und teilweise auch die Straßenzüge. Erst 1945 wurde die Stadt zerstört, die Altstadt in Brand gesetzt, Kunstgegenstände geraubt, – von der roten Armee, – die verbliebenen Schlesier vertrieben und im Zuge der neuen Grenzziehung, wurde Ratibor polnisch.
Der Glaube, vor allem der Katholische hat in der Familie meines Vaters eine große Rolle gespielt. Sehr viel hat er ja nicht erzählt. Eine Geschichte: er hatte irgendwas angestellt und zur Strafe mußte er auf Knien um den Altar rutschen, undzwar mehrmals. Morgens in die allerste Andacht gehen war Pflicht und das für einen jungen Burschen, den doch ganz andere Themen beschäftigten.
Ich parke genau gegenüber dieser Kirche. War es hier oder die andere? Egal, die Schmach und das Knieautsch ist schlimm genug. So können Söhne nicht wirklich groß werden.
In der Familie war das Kreuzzeichen wichtiger, als der Hitlergruß. Meinen Großvater hat das den Job gekostet.
Und meine Großmutter, die aus Baborow, dem damaligen Bauerwitz, stammte, konnte sich dort irgendwie durchschlagen. Ihre Söhne waren im Krieg, einer fiel. Ihre Tochter hatte sich auch dem Glauben hingegeben und ging ins Kloster.
Das, so erfuhr ich aus Briefen, war ja ursprünglich auch der Wunsch meiner Großmutter. Sie wollte als junges Mädchen ins Kloster gehen. Der Carmel-Orden war in Baborow. Es kam anders, sie gründete eine Familie. Ihr Mann starb früh und danach widmete sie ihr gesamtes Leben der Bahnhofsmission und der Kirche. Als mein Vater nach seiner Flucht aus Rußland zuhause ankam, in Baborow, am Gartentor. „Mach deinen Arm hoch, hast du die SS Tätowierung“, herrschte sie ihn an. Er hatte keine.
Nach einer wochenlangen, lebensgefährlichen Flucht so empfangen zu werden, da fehlen mir die Worte. Mit all seinen Kriegserlebnissen im Gepäck, von denen er fast nix erzählte nicht einfach nur in den Arm genommen zu werden und gemeinsam zu weinen? Was macht dies mit einem Menschen. So manche Härte, die mein Vater auch in unserer Erziehung zeigte, hatte hier ihren Ursprung. Außerdem galten in meiner Kinderzeit andere Erziehungsmaßstäbe, als wie heute. Kinderrechte gab es noch nicht.
Und meine Großmutter, die ihren eigentlichen Lebenswunsch, nämlich Nonne zu sein, verpaßte, mußte auch mit ihrer Enttäuschung fertig werden. Zu fremden Menschen konnte sie herzlich und zugewandt sein, in ihrer eigenen Familie konnte sie keine wirkliche Wärme zeigen.
Diese Gedankenfetzen gehen mir durch den Kopf. Ich komme am Museum vorbei und beschließe kurz reinzuschauen. Es ist nur auf polnisch und zeigt ein paar alte Ausgrabungssteine aus dem 15.Jahrhundert, einen alten Ton-Brennofen. Weiter oben eine ägyptische Ausstellung, eine Mumie , Bilder und Steine. Sie hatten ihren ganz eigenen Totenkult. Das ägyptische Totenbuch, ein Reiseführer durch das Danach ist sicherlich aufschlußreich.
Wer die Mumie brachte, weiß ich leider nicht. Ganz oben im Museum, die erhalten gebliebene Teile der alten Kirchen, die neu aufgebaut wurden.
In Baborow schau ich zu dem Camel -Kloster und der dazu gehörigen Kirche. Der Mittelpunkt des Lebens meiner Großmutter. In der „Dorfmitte“ auch wieder eine Art Mariensäule. Die Marienverehrung ist sehr groß geschrieben und vielleicht gab es Wunder. Beim Kloster steht jedenfalls eine nachgebaute Grotte mit einer Marienerscheinung.
Von der Landschaft ist die Gegend eher uninteressant und ich rolle nur 50 km weiter Richtung Tschechien zu einem See bei Zabreh. Nur ein Weg führt auf einer Plattenpiste hinunter zum See, wo ich herrlich stehen kann. Die anderen möglichen Wege enden im Schlamm oder an einer Fußgängerbrücke. Es regnet noch in Strömen. Erst am Morgen lösen sich die Wolken auf, Morgennebel und später dann Sonnenschein.
Rafael
Safar