Sobibor und Wlodawka

oder Synagoge und Vernichtungslager

 

29.9.

Ich habe gar nicht gewußt, dass ich in so einer Ecke des Kriegsgeschehens bin. Der Grenzfluß Bug war eine „harte Nuss“. Deutsche, Ukrainer und die rote Armee lieferten sich bittere Kämpfe und die Bevölkerung mußte es aushalten. Anfangs ging das Leben noch normal weiter.

 

Die Juden, die hier schon seit ewigen Zeiten, seit dem 16.Jahrhundert hier ansässig waren, wurden ausgegrenzt. Sie waren plötzlich die „schwarzen Schafe“. Die, denen man alles unterstellte, was einem selber nicht gefiel. Sie mußten herhalten für den Zorn und die Wut über all die Enttäuschung, die auf dem Leben lastete.

Man hatte den „Bumann“ gefunden und den galt es zu dezimieren, auszulöschen. Den eigenen inneren „Bumann“ wollte man nicht sehen. Den durfte es nicht geben. Viel einfacher war es doch im Außen das „Böse“ zu bekämpfen, als bei sich selbst hinzuschauen. Und es wird so deutlich in dem SS-Gebaren, grenzenloser Haß, grenzenlose Brutalität und kein Mitgefühl für den Schmerz des Anderen.

 

 

 

 

 

Ich kann es nicht wirklich verstehen und doch:
Es gab eine Situation als Kind, 7 oder 8 Jahre. Ich war krank und lag im Bett und spielte mit meinem kleinen Hamster. Mir ging es seelisch nicht gut. Und plötzlich spürte ich, dass ich diesen Hamster ja quälen könnte, ihm weh tun. Ich entschied bewußt, dies nicht zu tun und tat ihn zurück in den Käfig. Aber diese Scene, dieses jemand schwächeres quälen zu können, wenn eigener Schmerz so groß ist, das habe ich damals gespürt. Und es war wohl eine kleine Bewußtseinslektion, die ich da lernen durfte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die zweite Lektion war die, als ich auf meine Schwester einschlug, bis sie in die Badewanne rutschte. Sie hat gar keine Erinnerung mehr daran. Es hat wohl nicht so viel Eindruck auf sie gemacht. Und ich, ich war so erschrocken über mein Gebaren. Hatte mich nicht mehr im Griff. Die Wut, der Schmerz drückten sich aus. Der andere wurde bekämpft, um mit eigenem Schmerz umzugehen, mit der eigenen Unzulänglichkeit.

Ich frage mich manchmal, ohne irgendetwas zu entschuldigen, was in diesen Menschen, die sinnlos quälten vor sich gegangen ist. Haben sie überhaupt noch gefühlt, was sie da taten, war es ihnen bewußt oder waren sie in der Dunkelheit des Zorns und der Gewalt verloren?

 

 

 

 

Mit diesen Gedanken im Kopf schaue ich mir in Wladawka die neu renovierte Synagoge an. Vor dem 2.Weltkrieg blühte das jüdische Leben hier. Zwei Synagogen, Schulen und Bibliotheken, daneben die kleinen Häuser, in denen das Leben stattfand. Man lebte friedlich miteinander mit seinen christlichen oder orthodoxen Nachbarn. Ganz normales Leben. Keiner mußte den anderen bekehren, war besser, bzw. schlechter.

Wirklich friedlich waren diese Zeiten damals nicht. Immer wieder Kriege um mehr, mehr Land, mehr Rechte, mehr Privilegien. Das Glück wollte man im Haben finden.

 

 

 

 

 

 

 

 

Nicht weit weg von Wladawka liegt in dem wunderschönen Waldgebiet das ehemalige Vernichtungslager Sobibor. Erst sehr spät wurde es entdeckt. Die Nazis versuchten ja all ihre Spuren der Grausamkeit zu verwischen und so bauten sie über diesem Todeslager einfach ein Bauernhaus. Man sollte nicht wissen, was hier passiert war. Tausende von Juden, Gefangen, Anders-denkenden wurden in Viehwagons hierher gebraucht und in den Gaskammern hingerichtet, Dieselgas.
Dieser Erstickungstod muß furchtbar gewesen sein. Die Leiber wurden in Massengräbern verscharrt.

Ein Museum soll hier gebaut werden. Die Anfänge sind getan, aber die Arbeiten stocken und so steht schon seit 2017 der Bauzaun, der verhindert, dass man hineingehen kann, da wo Schrecken, Angst und Todeskampf stattgefunden hat.
Daneben ist dieser wunderschöne Wald, der in Herbstfarben leuchtet. Was für ein Gegensatz.

Ich fotografier zumindest die Bilder auf den Plakaten und die sind schon eindrucksvoll.

 

 

 

 

Hundert Kilometer weiter liegt dann mein schöner See Nielisc, ein Anglerparadies. Es ist Sonntag und jeder der eine Angel hat findet eine kleine Nische, sitzt auf seinem Stühlchen und hofft auf fette Beute.
Sie sind alle freundlich und nett und ich kann mich mit Brummeli einfach in eine Nische dazustellen. Viel Unterhaltung geht nicht, weil sie kein Wort Englisch oder Deutsch können. und ich halt außer meinen drei Worten kein Polnisch.

 

Und so genieße ich den Spätnachmittag, sitze auch auf meinem Stühlchen, surf ein bißchen, bereite mich vor auf Auschwitz vor.
Ich freu mich so über die Nachricht von zwei alten Freunden aus früheren Zeiten, hatte sie doch verloren geglaubt.