Ein Tag zwischen den Eukas und Zistrosen

oder die Weisheit des Sandes – eine Sufigeschichte

 

8.10.

Guten Morgen, du Draußen, du fast undurchdringbares nebliges Weiß, das dich so geheimnisvoll und mystisch erscheinen läßt. Alles ist möglich in dieser Zwischenwelt von Klarheit und nebligen Verschwommensein. Formen tauchen auf und verschwinden wieder. Feuchtnass klebt das Weiß an den Eukablättern, die schwer herunter hängen. Die Geräusche werden verschluckt und ganz langsam schimmert es bläulich zu meinem Dachfenster herein. Auf dem Fenster bilden sich kleine Tröpfchen, die langsam herunter kullern. Wind und Meer schlafen noch tief und fest.

 

 

 

 

 

Es sind diese Morgenden, die so spannend den Tag beginnen lassen. Aus der Tiefe tauchen Gedanken auf, mal erschreckend und mal wunderschön. Gestern habe ich mir die Frage gestellt, welche Spur wohl dieses Leben auf meinem Seelchen hinterläßt, heute morgen gehe ich dem Gedanken nach, was es wohl heißt in die Wüste aufzubrechen? Alles Bekannte, Gewohnte, Selbstverständliche hinter mir zu lassen und in eine Welt zu marschieren, die neu und unbekannt ist. Eine Welt in der unsere „normale“ Orientierung nicht mehr funktioniert, weil die ewigen Sanddünen gleich ausschauen. Die Berber, die Nomaden in der Wüste orientieren sich an den Sternen.

 

 

 

 

 

Ganz real hinterlassen meine Radlreifen Spuren auf der geschotterten Sandpiste und meine Schuhe Muster auf steinigem Pfad. Ich radel in beide Richtungen und erforsche einen Weg, wo ich noch nie war. Hinter den letzten Häusern geht es weiter in die Wildnis und irgendwann taucht ein großes Nature Resort auf, Pistenpfade tief hinunter zum Meer und alte Ruinen erzählen von früheren Menschleins, die hier mal gelebt haben. Ich drehe um, bevor ich nachher zu steil hinauf schieben muß.

Surfer hinterlassen eine Staubspur mit ihren Pistenautos und werden auch nicht langsamer neben mir. So schnell wie möglich wollen sie aufs Brett und die Wellen rauf und runter. Vielleicht übersehen sie in ihrer Schnelligkeit manchmal das Naheliegende. Meine quietschenden Bremsen rütteln sie ein bißchen auf und mit einer Handbewegung entschuldigt er sich. Es war nicht wirklich gefährlich, aber Stehen bleiben erschien mir sinnvoll.

 

 

 

 

 

Auf welchem Weg auf welcher Piste bin ich da wohl unterwegs?
Zurück lausche ich einem Vortrag von damals aus meiner Bhagwanzeit, Ende der 70ziger Jahre. The Wisdom of the Sands, der Titel einer Reihe von Vorträgen. Es ist eine Sufigeschichte und ich sehe mich selber noch da sitzen in der großen Buddhahalle, rot gekleidet und den Worten lauschen. Damals wie heute war ich fasziniert von einer Klarheit und einer Weitsicht, die in den damaligen „Lectures“ auftauchte. Und wie es der Zufall so will, war es heute genau vor 43 Jahren, das ich damals in Poona Sannyas nahm und eine zeitlang diesem Weg folgte. Ein Weg der mit zu der Spur, die mein Seelchen prägte gehört. Hier wurden ganz wichtige Weichen gestellt. Manches davon erkenne ich erst in der Nachschau. Ein spannender Tag!

Zurück zu der Geschichte. Sie ist einfach so schön und enthält so viel Weisheit, jedenfalls für mich. Ich finde im Internet eine deutsche Übersetzung ohne Autorennamen (www. bafimnetz.de.pdf)
Herzlichen Dank dem unbekannten Übersetzer und euch viel Freude beim Lesen!

 

Die SUFI-GESCHICHTE von der Sandwüste

Ein Strom floss von seinem Ursprung in fernen Gebirgen durch sehr verschiedene Landschaften und erreichte schließlich die Sandwüste. Genauso wie er alle anderen Hindernisse überwunden hatte, versuchte der Strom nun auch, die Wüste zu durchqueren. Aber er merkte, dass – so schnell er auch in den Sand fließen mochte – seine Wasser verschwanden.

Er war jedoch überzeugt davon, dass es seine Bestimmung sei, die Wüste zu durchqueren, auch wenn es keinen Weg gab. Da hörte er, wie eine verborgene Stimme, die aus der Wüste kam, ihm zuflüsterte: «Der Wind durchquert die Wüste, und der Strom kann es auch.»

Der Strom wandte ein, dass er sich doch gegen den Sand werfe, aber dabei nur aufgesogen würde; der Wind aber kann fliegen, und  deshalb vermag er die Wüste zu überqueren. «Wenn du dich auf die gewohnte Weise vorantreibst, wird es dir unmöglich sein, sie zu überqueren. Du wirst entweder verschwinden, oder du wirst ein Sumpf. Du musst dem Wind erlauben, dich zu deinem Bestimmungsort hinüber zu tragen.  »Aber wie sollte das zugehen? «Indem du dich von ihm aufnehmen lässt.»

Diese Vorstellung war für den Fluss unannehmbar. Schließlich war er noch nie zuvor aufgesogen worden. Er wollte keinesfalls seine Eigenart verlieren. Denn wenn man sich einmal verliert, wie kann man da wissen, ob man sich je wiedergewinnt.

«Der Wind erfüllt seine Aufgabe», sagte der Sand. «Er nimmt das Wasser auf, trägt es über die Wüste und läßt es dann wieder fallen. Als Regen fällt es hernieder, und das Wasser wird wieder ein Fluss.» «Woher kann ich wissen, ob das wirklich wahr ist?» «Es ist so, und wenn du es nicht glaubst, kannst du eben nur ein Sumpf werden. Und auch das würde viele, viele Jahre dauern; und es ist bestimmt nicht dasselbe wie ein Fluss. »

«Aber kann ich nicht derselbe Fluss bleiben, der ich jetzt bin?» «In keinem Fall kannst du bleiben, was du bist», flüsterte die geheimnisvolle Stimme. «Was wahrhaft wesentlich an dir ist, wird fortgetragen und bildet wieder einen Strom. Heute wirst du nach dem genannt, was du jetzt gerade bist, doch du weißt nicht, welcher Teil deines Selbst der Wesentliche ist. »

Als der Strom dies alles hörte, stieg in seinem Innern langsam ein Widerhall auf. Dunkel erinnerte er sich an einen Zustand, in dem der Wind ihn – oder einen Teil von ihm? War es so? – auf seinen Schwingen getragen hatte. Er erinnerte sich auch daran, dass dieses, und nicht das jedermann Sichtbare, das Eigentliche war, was zu tun wäre – oder tat er es schon?

Und der Strom ließ seinen Dunst aufsteigen in die Arme des Windes, der ihn willkommen hieß, sachte und leicht aufwärts trug und ihn, sobald sie nach vielen, vielen Meilen den Gipfel des Gebirges erreicht hatten, wieder sanft herabfallen ließ. Und weil er voller Bedenken gewesen war, konnte der Strom nun in seinem Gemüte die Erfahrungen in allen Einzelheiten viel deutlicher festhalten und erinnern und davon berichten.

Er erkannte: «Ja, jetzt bin ich wirklich ich selbst. »Der Strom lernte. Aber die Sandwüste flüsterte: «Wir wissen, weil wir sehen, wie es sich Tag für Tag ereignet; denn wir, die Sandwüste, sind immer dabei, das ganze Flussufer entlang bis hin zum Gebirge. »
Und deshalb sagt man, dass der Weg, den der Strom des Lebens auf seiner Reise einschlagen muss, in den Sand geschrieben ist.